In der Regel bezeichnet man es als Nachfolge, wenn die Leitung eines Familienunternehmens in andere (jüngere) Hände übergeben wird.
In der Regel bezeichnet man es als Nachfolge, wenn die Leitung eines Familienunternehmens in andere (jüngere) Hände übergeben wird. Schon allein der Begriff ist dabei aufschlussreich kompromittierend. Gibt er doch klar zu erkennen, dass die Übernehmenden nur folgen, in etwas Vorhandenes eintreten, nicht eigenständig schaffen, sondern etwas mehr oder weniger Fertiges fortführen. Bei Nicht-Familienunternehmen wird hingegen in gleicher Situation (nämlich wenn der Posten der Vorstandsvorsitzenden durch eine andere Person besetzt wird) selten von Nachfolge gesprochen. Hier redet man von Wechsel, Neubesetzung oder allenfalls noch von einer Übernahme der Position. Damit wird gezeigt, dass es beim Austausch der Führung weniger um eine Nachfolge als vielmehr um einen Neustart geht.
Dass man in Familienunternehmen den generationsbedingten Neustart nicht immer automatisch als Nachfolge begriff, zeigt ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte. In Familienunternehmen zur Fugger- und Welserzeit folgten die Söhne, Neffen etc. beim Tod eines Familiengesellschafters nicht einfach nach und übernahmen Eigentum und Führung. Damals musste binnen einer bestimmten Frist nach dem Tod von Gesellschafter*innen die Gesellschaft zunächst aufgelöst und im Anschluss neu gegründet werden. So konnten die nachfolgenden geschäftsführenden Gesellschafter*innen die Unternehmung nicht nur völlig anders ausrichten, sondern man ging sogar davon aus, dass andere Protagonist*innen auch ganz andere Voraussetzungen und Bedingungen mit sich brachten. Hier wurde also ein echter Neustart vollzogen, der sich nicht zuletzt in neuen Gesellschaftsverträgen und öfter sogar in neuen Firmierungen manifestierte.
Jeder (generationenbedingte) Neustart bringt für Familienunternehmen besondere Herausforderungen mit sich.
Erstens gibt es in jeder Generation einen solchen nur ein einziges Mal. Dies bedeutet, dass die Betroffenen auf keinerlei Routine zurückgreifen können.
Zum zweiten kristallisieren sich an einem Neustart alle latent vorhandenen Probleme, Konflikte etc. und treten an die wahrnehmbare Oberfläche. Der Neustart ist zwar nicht der Grund für die oft genau dann auftretenden familiären und betrieblichen Verwerfungen, aber er ist Anlass.
Und drittens gilt mehr oder weniger das Alles-oder-Nichts-Prinzip. Gelingt der Neustart, dann ist die Zukunft des Unternehmens und der Familie in der Regel aufs Nächste gesichert, scheitert er, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Unternehmen untergeht und die Familie zerbricht. Dieses Alles-oder-Nichts liegt darin begründet, dass bei der Übergabe das gesamte System Familienunternehmen-Unternehmerfamilie besonders fragil und anfällig für Störungen ist; die alten Strukturen gelten nicht mehr und die neuen haben sich noch nicht etabliert. In dieser Phase gibt es deshalb ein selten hohes Risiko des Untergangs.
Da sich die meisten Unternehmerfamilien der besonderen Herausforderungen bewusst sind, ergreifen sie verschiedene Maßnahmen:
Zum ersten werden häufig lange Überlappungszeiten zwischen der alten und der jungen Generation gewünscht. Sie werden sowohl von den Abgebenden als auch von den Nachfolgenden als probates Mittel dagegen angesehen. Dies ist naheliegend, da man damit die Instabilität vermeiden möchte. Lange Überlappungszeiten stärken allerdings das System nicht unbedingt. Ja, solche langen Übergabezeiten können sogar regelrecht kontraproduktiv wirken. Sie verlängern die Phase der Unsicherheit. Denn während der Übergangszeit kommt es nicht selten vor, dass die Vorgänger*innen (nicht aus irgendeiner Böswilligkeit, sondern aus einer Unsicherheit heraus) indifferent bezüglich der teilweise abgegebenen Verantwortung sind und deshalb beispielsweise Entscheidungen der Nachfolgenden zurückholt. Genauso stellt möglicherweise die NextGen fest, dass ihre Entscheidungen zwar nicht unbedingt über den Schreibtisch der SeniorGen gehen, dass aber Mitarbeiter*innen immer wieder Rückversicherungen bei der Vorgängergeneration einholen, denn auch die Mitarbeitenden, Kunden oder andere Stakeholder sind in langen Übergabephasen verunsichert. Und da sie alles richtig machen wollen, fragen sie lieber noch mal bei den Senior*innen nach. Damit wird aber die Autorität der Nachfolgenden, die sich ja profilieren müssen und wollen, weiter untergraben, was möglicherweise den Vorgänger*innmen erneut darin bestärkt, den Nachfolgenden doch wieder mehr auf die Finger zu schauen. Eine Endlosschleife ist generiert und verlängert und verstärkt damit die Unsicherheitsphase. Und dies nicht nur aus der Perspektive der Protagonist*innen selbst, sondern vor allem auch bei Dritten und Mitbetroffenen. Deshalb ist es manchmal (natürlich nicht immer und in jedem Falle) besser, einen Graben mit einem mutigen Sprung zu überqueren und nicht lange zu zweit auf einer wackeligen, morschen Brücke zaudernd zu verweilen und so lange hin und her zu wanken, bis sie doch endlich bricht.
Zum zweiten zeigen Studien, dass es Unternehmerfamilien wichtig ist, den Nachfolgekandidat*innen auf ihre Aufgaben gut vorzubereiten und sie fachlich (sehr) gut zu qualifizieren. Dies wird meist als unabdingbare Voraussetzung angenommen. Darüber hinaus erfolgt die Auswahl sehr häufig unter dem Gebot der Freiwilligkeit und der persönlichen Eignung. Denn fast alle Unternehmerfamilien wissen, dass die potenziellen Übernehmer*innen zusätzlich zu der Fachkompetenz auch persönliche (Führungs- und Entscheidungs-) Kompetenzen mitbringen müssen, um ein Unternehmen erfolgreich führen zu können. Wie die Auswahl der Kandidat*innen und deren persönliche wie fachliche Qualifizierung dann im Einzelnen aussehen und ob externe Hilfe hinzugezogen wird, sei hier nicht weiter erörtert und beurteilt (siehe auch: Assessment). Wichtig ist, dass in der Regel die besondere Herausforderung bewusst und der Wille vorhanden ist, die Nachfolger*innen entsprechend zu unterstützen, zu qualifizieren und einzuarbeiten.
Um einen Neustart erfolgreich zu gestalten, gibt es aber weitere Herausforderungen, die allerdings oft nicht wahrgenommen werden:
(1) An jeder Übertragung sind natürlich nicht nur die Übernehmer*innen beteiligt, sondern auch die Übergeber*innen. Daher ist es einleuchtend, dass der Erfolg eines Neustarts nicht nur von den Kompetenzen der Nachfolgenden abhängt. Auch die Vorgänger*innen müssen entsprechend kompetent handeln. Wie die Beobachtung zeigt, scheinen darauf die Unternehmerfamilien allerdings weniger Augenmerk zu legen. Die bisher erfolgreichen Unternehmenslenker*innen werden kaum hinterfragt und es wird den Senior*innen wesentlich weniger Bereitschaft zur prinzipiellen Veränderung abverlangt. Dies ist durchaus nachvollziehbar. Es mag mit den erwiesenen Erfolgen als Unternehmer*in, mit dem Alter, mit der Rolle als Patriarch*in zu tun haben. Aber eine Übergabe bedeutet trotzdem per Definition eine tiefgreifende Veränderung. Sie beinhaltet eine (die) extrem(st)e Form der Veränderung im Unternehmen wie auch im Leben der Abgebenden. Außerdem sind hier plötzlich ganz andere persönliche Kompetenzen nötig, wie sie bisher von den Familienunternehmer*innen noch nie gefordert wurden: in zweiter Reihe stehen und unterstützen und nicht mehr selbst in erster Reihe kämpfen; Loslassen anstelle von Bindung und Fokussierung; Toleranz und nicht mehr Kompromisslosigkeit; sich nicht ausschließlich über unternehmerische Erfolge definieren, sondern über anderes Engagement; nicht mehr in Wettbewerbsmustern denken, sondern integrative und harmonische Strukturen etablieren etc.
(2) Die gültigen und gesellschaftlich anerkannten Vererbungsregeln haben sich verändert. Bis vor wenigen Generationen galt in weiten Teilen unserer Gesellschaft das Erstgeborenenrecht, aufgrund dessen ein Hof oder ein Unternehmen ungeteilt an den erstgeborenen Sohn vererbt und dieser mit der Führung betraut wurde. Die nachgeborenen Söhne schickte man dann oft in ein Priesterseminar oder eine Kadettenanstalt, damit sie ihr Auskommen in einer Offizierslaufbahn fanden oder kirchliche Pfründe sie ernährten. Die Töchter wurden versorgt, indem man sie möglichst gut verheiratete und mit einer mehr oder weniger großen Mitgift ausgestattete.
Spätestens seit der Französischen Revolution hat sich aber in unserer westlichen Welt ein verändertes Gerechtigkeitsverständnis etabliert. Seither gilt das Prinzip der Egalität. Es ist gesellschaftliche Übereinkunft, dass alle Nachfahren in der Regel ein gleiches Erbe beanspruchen dürfen. Auch unsere Gesetzgebung schützt dieses Prinzip, denn die gesetzliche Erbfolgeregelung verteilt unter allen (verwandtschaftlich gleich nahen) Nachfahren gleich und spricht sogar enterbten Nachfahren einen Pflichtteil (vgl. → Pflichtteilsverzicht) zu.
Aus diesem Grunde ist es nicht verwunderlich, dass heute Unternehmerfamilien ihr Vermögen (das nicht selten fast ausschließlich aus der Firma besteht) sehr häufig auf alle Nachfahren zu gleichen Teilen übertragen. Die Unternehmensführung wird hingegen oft nur einer (geeigneten) Nachfolger*in anvertraut. Unternehmerfamilien regeln also den Neustart in den einzelnen Subsystemen unterschiedlich: alle Kinder werden Eigentümer*innen, während nur eine Person die Führung übernimmt.
Wie oben beschrieben, wird in Unternehmerfamilien in Bezug auf die Neustartregelung meistens viel Wert auf eine gute Auswahl und eine gute Qualifizierung der neuen Unternehmenslenker*innen gelegt. Die Eigentumsnachfolger*innen werden dabei in der Regel kaum berücksichtigt. Sie sollen und dürfen ganz anderen Lebensentwürfen nachgehen und erwerben daher meist auch ganz andere Qualifikationen. Aufgrund ihrer Eigentümerschaft von oft maßgeblichen Firmenanteilen müssen sie aber trotzdem wichtige Unternehmensentscheidungen mittragen und mitverantworten. Dass dies nur qualifiziert möglich ist, wenn man über entsprechende Kompetenzen verfügt, liegt auf der Hand. Leider legen bisher Unternehmerfamilien auf → Gesellschafterkompetenz allerdings verhältnismäßig wenig wert.
Spätestens die neuen Unternehmenslenker*innen, die sich mit weiteren Eigentümer*innen (Geschwistern) abstimmen müssen und die daher in ihren unternehmerischen Entscheidungen nicht gänzlich frei sind, werden dies aber spüren. Gerade in unternehmerisch schwierigen Situationen, in denen meist schnell gehandelt und entschieden werden muss, bleibt nämlich wenig Zeit, erst einmal Wissen und Zusammenhänge zu vermitteln oder gar inkompetente Meinungen bzw. Blockaden aus Unwissenheit zu überwinden. Dann kann sich ein wenig kompetenter Eigentümerkreis als Gefährdung für die Firma erweisen. Falls aber eine solche Situation eintritt, wird meist nur die (junge) Unternehmensführung dafür verantwortlich gemacht. Nur selten werden die Gründe dafür in den (falschen) Gesellschafterstrukturen und der Kompetenz bzw. Inkompetenz der reinen Gesellschafter*innen gesehen.
Die Erfahrung scheint zu bestätigen:
Der Erste erstellt es,
der Zweite erhält es,
dem Dritten zerfällt es.
Meist wird der bekannte Spruch dahingehend interpretiert, dass die dritte Generation zu satt, zu unfähig, zu wenig leistungsbereit sei, weshalb sie das Werk der Vorgängergenerationen zerstöre.
Nur die wenigsten Außenstehenden werden die → Gesellschafterstrukturen mit gleichmäßiger Anteilsverteilung bei gleichzeitig fehlender Gesellschafterkompetenz als Ursache für eine Krise eines Familienunternehmens ausmachen, wenn die 3. oder 4. Generation angetreten ist.
Ist dies erkannt (und wird nicht fehlende Leistungsbereitschaft vorgeworfen), könnte man leicht zu dem Schluss gelangen, dass die Übertragung einer Firma nur an die Geschäftsführungsnachfolger*innen besser sei. Dabei wird allerdings mindestens zweierlei verkannt:
(1) Die allgemeine gesellschaftliche Übereinkunft, dass → Gerechtigkeit Gleichheit bedeutet, wird auch von Unternehmerfamilien geteilt. Jedes Zuwiderhandeln würde immer als ungerechter Makel von allen Beteiligten wahrgenommen.
(2) Die unumschränkte Alleinherrschaft über ein Unternehmen mag zwar verführerisch sein, weil viele Dinge dadurch unkomplizierter und schneller realisierbar sind, allerdings ist das Totalrisiko wesentlich erhöht. Ein (gravierender) Fehler von Alleinherrscher*innen wird meist erst wahrgenommen, wenn es zu spät ist. Eine Teamführung mag zwar manchmal ermüdend und langsamer sein, hat aber den Vorteil der gegenseitigen Kontrolle und der ergänzenden Kompetenzen. Teams sind aber nur dann besser, wenn erstens darauf geachtet wird, dass keine blockierenden Pattsituationen entstehen können, und zweitens und vor allem die Mitglieder kompetent sind, weshalb Eigentümer*innen von Familienunternehmen ungedingt Gesellschafterkompetenz erwerben müssen.
Der Erhalt eines Familienunternehmens über Generationen hinweg hängt selbstredend vom Willen zu Nachhaltigkeit, Stabilität und vom Erwirtschaften solider Gewinne ab. Darüber hinaus ist aber auch die Eigentümerkompetenz von Bedeutung. Mindestens genauso wichtig ist zudem eine gute und richtig strukturierte Übertragung des Unternehmens in die nächste Generation. Das ist offensichtlich. Nicht so offenkundig ist, dass man dabei nicht nur die aktuelle Übertragungssituation betrachten sollte, die ganz besonderen Bedingungen, Voraussetzungen und individuellen Fähigkeiten der derzeitigen Vorgänger- und Nachfolgegeneration, sondern bedenken sollte, dass damit Muster gebildet werden, die möglicherweise in der übernächsten Generation nicht mehr greifen oder sogar regelrecht destabilisierend wirken können. Bei genauerer Analyse ist nämlich zu erkennen, dass bei der Übertragung eines Unternehmens von der Gründergeneration auf die zweite Generation oft Muster fixiert werden, die beim Transfer in die dritte oder folgende Generation solch destruktiven Charakter entwickeln, dass es der Folgegeneration (trotz Anstrengung) kaum möglich ist, das ererbte Unternehmen zu erhalten (siehe auch: Zukunftssicherung, Fallbeispiel 1 und 2).
Ein echter Neustart in der nächsten Generation berücksichtigt all diese Aspekte.
→ Zukunftssicherung
→ Nachfolge