GELEITWORT
Was bedeutet Kompetenz?
Von den vier wesentlichen Aspekten des menschlichen Wirkens
Wissen – Können – Wollen – Tun
ist die Kompetenz dem Können wohl am nächsten.
War früher eher die Qualifikation, also Fertigkeiten und Fähigkeiten aufgrund von Kenntnissen und Wissen wichtig, so achtet man heute häufig auf Kompetenz und meint damit nicht nur das angelernte Wissen, sondern auch die Problemlösungsfähigkeit in einem konkreten Segment.
Ob zur Kompetenz auch die Bereitschaft gehört, diese nicht nur zu erwerben und zu trainieren, sondern sie auch anzuwenden und einzusetzen, ist ungeklärt. Für mich zählt allerdings der Aspekt des Wollens zur Kompetenz wesentlich dazu. Denn wer kennt keine – oft sogar im Licht der Öffentlichkeit stehende – Personen, die mit bewundernswerter Wissensfülle aus-gestattet sind und offensichtlich auch die nötige Fähigkeit und Fertigkeit (nachgewiesen) haben, Dinge anzupacken und zu Lösungen zu führen. Allein sie wollen dies nicht tun, zumindest nicht in diesem Bereich, nicht zu diesem Preis, nicht jetzt, nicht unter diesen Umständen oder nicht zu Lasten anderer Dinge. Diese Personen würde ich deshalb nicht unbedingt als kompetent bezeichnen.
Was bedeutet Gesellschafterkompetenz? Die wichtigste Grundlage für Gesellschafterkompetenz ist einschlägiges Wissen, das eigentlich nicht breit und tief genug sein kann und dessen Vermittlung sich neben Ausbildungsstätten und Universitäten auch sonstige Einrichtungen bis hin zu Gemeinnützigen Stiftungen wie die EQUA gerne und mit Erfolg widmen.
Nachdem heutzutage und gerade in Unternehmerfamilien der Wert einer guten und fundierten Ausbildung unbestritten ist und die Abiturientenquote beispielsweise in Deutschland derzeit bei über der Hälfte eines Jahrgangs liegt, dürften gerade Kinder aus Unternehmerfamilien fast ausnahmslos ein Studium oder eine fachspezifische Berufsausbildung absolviert haben.
Auch wenn dieses theoretische Wissen eine optimale Voraussetzung für Kompetenz darstellt, gehört nach meinem Dafürhalten vor allem die praktische Seite des Könnens, nämlich die Anwendung in der Praxis, unverzichtbar dazu, um kompetent in einem Bereich agieren zu können.
Nicht selten findet man in Unternehmerfamilien allerdings junge Mitglieder, die zwar manchmal mehrere einschlägige Diplome erarbeitet haben, deren praktische Erfahrung sich jedoch z. B. nur in der Mitarbeit im eigenen Family Office, bei einem selbständigen Rechtsanwalt bzw. Ingenieur oder in einem kleinen Start-up aus drei Studienkolleg*innen erschöpft. Wer mit nur diesem limitierten beruflichen oder praktischen Background dann im Beirat oder Aufsichtsrat eines großen Handels- oder Industrieunternehmens sitzt, kann nicht nachvollziehen, was es bedeutet, in eine Hierarchie eingebunden zu sein, einen Chef, Kollegen oder Untergebene zu haben. Praktisches Wissen, Berufs- und Lebenserfahrung sind deshalb für Gesellschafter wesentlich, da kompetenzerweiternd. Eine Mutter von drei Kindern, ein Vorsitzender im Elternbeirat oder Tennisclub, Meister*innen in einem Handwerksbetrieb sind daher nicht selten in der Gesellschafterkompetenz den lediglich mit viel theoretischem Wis-sen ausgestatteten Absolvent*innen einer Universität überlegen.
Zwar mag ich alles im Spiegel des eigenen Familienunternehmens sowie der Arbeit in der EQUA-Stiftung sehen, doch scheint es mir nicht ganz verzerrt, wenn ich feststelle, dass die praktische Kompetenz der Kinder aus Unternehmerfamilien manchmal unterentwickelt ist – mit der Tendenz in direkter Korrelation zur Größe des Unternehmens.
So leicht wie früher kann man heutzutage allerdings auch nicht mehr praktische Erfahrungen sammeln. Früher hieß es einfach: Nach der Lehre arbeitest Du zwei Jahre bei einer ausländischen Tochtergesellschaft. Oder: Du musst halt alle Abteilungen im Hause sukzessive durchlaufen. Oder: Hier hast Du einen kleinen Bereich, ein Inhouse-Start-up, indem Du Dich „austoben“ kannst.
Die umfangreiche individuelle Lebenserfahrung reicht aber allein auch nicht immer und unbedingt aus.
Hierfür möchte ich ein kleines Beispiel aus meiner eigenen Vergangenheit anführen: Bei einer Gesellschafterversammlungen in unserem Haus wurde mir von einer Mitgesellschafterin die Entlastung als Geschäftsführer versagt. Allerdings wählte sie mich beim nächsten Tagesordnungspunkt „Neuwahl der Geschäftsführung“ erneut und sprach mir damit ihr Vertrauen aus. Darauf angesprochen, stellte sich heraus, dass sie nicht als dumme ‚Abnickerin‘ und Hausfrau gelten wollte und deshalb prinzipiell alle 10-15 Abstimmungspunkte einmal mit Enthaltung oder Nein stimmte.
Auch sind nicht unbedingt Erfahrungen in allen Bereichen und Branchen hilfreich, um als Gesellschafter*in Kompetenz zu erlangen. Wer z. B. im Family Office, in der Private-Equity-Branche oder einem Fonds nur Anteile oder Investments begutachtet oder betreut, kann nicht wissen oder ermessen und schon gar nicht fühlen, wie ein Unternehmen und alle darin agierenden Menschen denken, arbeiten, interagieren und fühlen. Reine Investorenmentalität ist die zwangsläufige Folge.
Erfahrungen in „echten“ Unternehmen sind deshalb m. E. unabdingbar, um kompetente Ge-sellschafter*innen zu werden. Denn jegliche Führungskompetenz (und Gesellschafterkompetenz ist AUCH Führungskompetenz) ist nach meiner Erfahrung eine reine Handwerkskunst und deshalb auch nur wie diese praktisch erlernbar und vermittelbar durch Zuschauen, Mitmachen, unter Aufsicht testen, selbständig probieren, korrigieren, verbessern, eigenständig machen, weiter hinzulernen, allein machen. Jede erfolgreiche Führungskraft wird auf Befragen gerne zugeben, Führungsqualifikationen und -kompetenzen von konkreten Personen gelernt oder abgeschaut zu haben. Auch abschreckende Beispiele sind dazu hilfreich.
Deshalb rege ich an, dass Familienunternehmen und Unternehmerfamilien zugewandte Institutionen – seien es der Trägerkreis des WIFU, das WIFU selbst, die Stiftung Familienunternehmen oder die EQUA-Stiftung – eine Vermittlung oder Börse für Praktika, Werksstudenten, Anfangsjobs oder temporäre Mitarbeit etablieren, um so Mitgliedern von Unternehmerfamilien Erfahrungen in (anderen) Unternehmen zu ermöglichen.
Zu jedem Wissen und Können muss aber m. E. auch noch das unbedingte Wollen hinzukommen, um wahrhaft kompetent agieren zu können.
In den letzten Jahren nehme ich vermehrt wahr, dass gute, ja oft hervorragende, kompetente und erfolgreiche Familienunternehmer ihr oft mehrere Generationen altes und wertvolles Familienunternehmen verkaufen, um danach zum reinen Investor und Manager ihres Family Offices zu werden, das wiederum zur Diversifikation des Vermögens anderweitige Beteiligungen erwirbt oder veräußert. Dies konsterniert und bewegt mich sehr, weil ich es kaum verstehen und nachvollziehen kann. Warum sollte ein 50-Jähriger Familienunternehmer, der sein internationales, marktführendes, ertragreiches, renommiertes und globales Unternehmen 20 Jahre erfolgreich geführt hat, dieses durch einen Verkauf gegen Investments in Im-mobilien, Windparks, Gold, Start-ups und sonstige Beteiligungen eintauschen? Ganz zu schweigen davon, dass man oft Kompetenz im alten Bereich mit Unkenntnis und Dilettantismus im neuen erkauft.
Dabei spreche ich nicht von den Fällen, in denen es keine Nachkommen gibt bzw. Probleme des Unternehmens oder im Gesellschafterkreis vorhanden sind oder sich abzeichnen. Ich spreche auch nicht von den seltenen Fällen des Mäzenatentums, bei dem große und größte Vermögen einer Idee mit gemeinnützigen oder religiösen Vorstellungen nutzbar gemacht werden.
Die umgekehrten Fälle, in denen ein Investor sich in eines seiner Investments so tief einarbeitet und verwurzelt, um dann praktisch zum Chef und Unternehmer dieser Firma zu mutieren, sind für mich hingegen plausibel und sehr wohl nachvollziehbar.
Dieses Wollen bzw. Nicht-Wollen oder Nicht-Mehr-Wollen kann ich nur aus einer Perspektive verstehen und erklären, nämlich als befreiende Entlastung von der Verantwortung für ein Unternehmen und deren Stakeholder.
Reines Wollen ohne die nötige Kompetenz zu haben, sieht man allerdings auch allenthalben, nämlich dann, wenn z. B. mit glänzenden Augen vom eigenen, traditionsreichen Familienunternehmen geschwärmt wird: „die Firma ist heilig bei uns in der Familie“. Etwas mehr Wissen, Verstand und Erfahrung wären sicher hilfreicher als Beschwörung, Glaube und Verzückung.
Bleibt das Tun. Jeder kennt Persönlichkeiten, die sehr viel wissen, auch können und vielleicht sogar ihre Kompetenz nutzbringend einsetzen wollen. Nicht nur in der Politik, in Verbänden, in der Öffentlichkeit, sondern sogar im eigenen Freundeskreis gibt es solche Menschen, die am Tun scheitern bzw. es erst gar nicht so weit kommen lassen und von Anfang an konkrete Versuche und Aktivitäten ausschließen oder der restlichen Welt überlassen. Gerne werden auch Postulate, Ratschläge und Forderungen an Dritte gerichtet oder zusätzliche Voraussetzungen, Bedingungen und Umstände genannt, die das fehlende Tun erklären oder rechtfertigen sollen. Denn das wirkliche Tun und das aktive Umsetzen des Wollens ist i.d.R. wirklich anstrengend und erfordert plötzlich ganz andere Fähigkeiten und Voraussetzungen. Hier sind vor allem Durchhaltevermögen, Krisenfestigkeit und Standhaftigkeit zu nennen.
Die notwendige und wünschenswerte Kompetenz von Gesellschafter*innen eines Familienunternehmens muss nicht den Qualifikationen von Geschäftsführenden Gesellschafter*innen entsprechen.
Die Anforderungen an das Tätigwerden sind je nach Bereich und Aufgabenstellung natürlich verschieden. Geschäftsführende Gesellschafter*innen sollten nicht nur andere oder mehr Kompetenzen besitzen, sondern den besonderen Schwerpunkt auf das Können und Tun legen. Dem gegenüber füllen nicht-aktive Gesellschafter*innen die eigene Rolle und Position dann nutzbringend und erfolgreich aus, wenn sie Zeit, Interesse und Engagement zu investieren bereit sind, also Kompetenz als Wissen und Wollen verstehen.